Körperhaltung und Faszien

"Wenn ein Teil des Körpers in Schwierigkeiten gerät, kommt der ganze Körper aus dem Gleichgewicht."
Dr. Ida P. Rolf

Als Haltung betrachten wir allgemein die statische Ausrichtung der verschiedenen Teile unseres Körpers, so wie man sich eine Reihe übereinander gestapelter Gefäße vorstellt.
In erweitertem Sinn hängt unsere Haltung innerlich von dem kontinuierlichen, wechselhaften Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Segmenten unseres Körpers ab, während er äußerlich mit dem näheren Lebensraum und der Erdschwerkraft verbunden ist….in allen Lebenslagen und in jeder Position.
Aus ganzheitlicher Sicht ist unsere Haltung nichts anderes als das Ergebnis davon, wie wir mit den verschiedenen Herausforderungen unseres Lebens umgehen und wie diese sich in unserem Körper widerspiegeln. Das qualitative Niveau unserer Antworten auf unsere Umwelt beeinflusst im Laufe der Zeit unser Nervensystem und damit auch das Bindegewebe (Faszien), das Muskel-Skelett-System, die Atmung, den Kreislauf, die Verdauung und andere Körperfunktionen. All diese Faktoren haben mit unserer aufrechten Haltung zu tun und können die Beweglichkeit einschränken.

Ein weiterer, unvermeidlicher Faktor für unsere Körperhaltung hängt mit der Schwerkraft zusammen, welche uns ständig in Richtung Erde drängt, denn je ausgerichteter wir sind, umso weniger beschwerlich sind für uns die Auswirkungen davon. Mit einer guten Körperhaltung können wir die Schwerkraft in eine aufsteigende Energie umwandeln.

Was die schmerzhaften Auswirkungen von Haltungsfehlern angeht, haben internationale, wissentschaftlich-medizinische Studien in den letzten Jahren mit besonderer Aufmerksamkeit die Faszien untersucht; ein kollagenhaltiges, weißes Fasernetz, dass die ganze Körperstruktur zusammenhält und ihm seine Form gibt. Einzelne Gewebszellen, Muskeln, Sehnen, Gelenke, Organe, Nerven und Blutgefäße sind von ihnen durchwebt, umhüllt und miteinander verbunden. Zusammen mit den Muskeln formt dieses unendliche Netzwerk wirkliche muskel-fasziale Ketten.

Durch einseitige Haltungsverlagerung, überlastende, fehlende, oder sich permanent wiederholende Bewegungen, starken Stress, Traumata und unausgewogene Ernährung können sich die Faszien versteifen, verkleben und an Elastizität verlieren, woraufhin Haltung, Atmung und Organfunktionen negativ beeinflusst werden. Der Körper signalisiert diese Veränderungen durch akute oder chronische Schmerzen im Rücken - und Nackenbereich, Kopfschmerzen, Bandscheibenvorfälle, Fibromyalgien, organische Dysfunktionen, Müdigkeit und viele andere Symptome.

Aufgrund ihrer Elastizität, Berührungsempfindlichkeit und Dehnbarkeit sind die Faszien formbar und nachgiebig und sind daher leicht regenerierbar.

Über lange Zeit hinweg hat die offizielle Medizin den Faszien wenig Aufmerksamkeit geschenkt und sie als physiologisches Füllmaterial angesehen. Dank der modernen Technik ist es der internationalen, medizinischen Wissenschaft in den letzten Jahren gelungen, dieses Gewebe genauer zu untersuchen, um seine vielfältigen Funktionen zu verstehen. So ist es als Neuro-myo-fasziales Netzwerk klassifiziert worden („Neuro" = Nerven; "Myo "= Muskeln; " Faszien"= Bindegewebe).

Nachdem man in den Faszien sensorische Rezeptoren entdeckt hat, wurden sie wissenschaftlich als zusätzliches und größtes Sinnesorgan unseres Körpers anerkannt. Durch die Selbstwahrnehmung, auch Propriozeption genannt, signalisieren sie uns den gegenwärtigen, inneren Zustand unseres Körpers. Wenn er aus dem Gleichgewicht gerät, können dadurch unser Wohlbefinden und unsere Lebensqualität erheblich beeinflusst werden.

Die neusten Forschungen haben belegt, dass die Faszien bei starkem Stress auf die Ausschüttung von neurochemischen Botenstoffen reagieren. Das hat zur Folge, dass sich das Gewebe unabhängig von der Muskulatur zusammenzieht. Die daraus entstehende Irritation löst Schmerzen aus, die mit der Zeit chronisch werden können. Aus diesem Grund wird seit einiger Zeit auch im Bereich der Schmerztherapie immer mehr Aufmerksamkeit auf dieses Gewebe gerichtet.

Gesunde Faszien sind gut mit Feuchtigkeit versorgt, geschmeidig und anpassungsfähig. Die verschiedenen Gewebeschichten werden ausreichend mit Schmiermittel versorgt und können so übereinander gleiten ohne auf Widerstand zu treffen.
Fehlerhafte Haltungen, sich immer wiederholende Bewegungen, mangelhafte oder stark belastende körperliche Aktivität, Stresszustände und Traumata sind nur einige der vielen Faktoren, die die Gesundheit der Faszien beeinflussen und zu Verdickungen, Verfilzungen und Austrocknung führen.
Bereits nach kurzer Zeit kommt es zu einer chronischen Veränderung des Gewebes, was Steifheit, Verspannungen und Schmerzen zur Folge haben kann. Auch bei chirurgischen Eingriffen treten im Nachhinein Verdickungen und Elastizitätsverlust auf. Selbst eine geringe, hemmende Veränderung in der Faszie kann sich einschränkend und degenerativ auf andere Bereiche unseres Körpers auswirken; manchmal sogar weit entfernt vom Ausgangspunkt.

Durch Untersuchungen mit speziellen, hochauflösenden Ultraschallgeräten wurde bestätigt, dass Behandlung mit myofaszialen, manuellen Techniken wie Rolfing und funktionellen, körperlichen Aktivitäten wie Gyrotonic oder Fascial Fitness die Durchfeuchtung der Faszien erheblich erhöhen, sie wieder gleitfähig und elastisch machen, sodass auch chronische Schmerzen nach und nach gelindert werden.